Was wir von Jägern und Sammlern lernen können - A1 Blog
Sie ist Autorin des Buches „Unserer Zukunft auf der Spur“ und Gründerin des Zukunfts.Symposiums Eferding. Bei OneTEC FutureShots von A1 zeigte die Anthropologin Bettina Ludwig, warum wir trotz Unsicherheiten optimistisch in die Zukunft blicken können und sollen. Warum sie für Weitblick, Demut, sowie Liebe als Kernelemente der Zukunft plädiert. Und sie warf die Frage auf, warum der Mensch eigentlich tut, was er tut. Genau diesem Thema geht Bettina Ludwig als Anthropologin und in ihren Forschungen zu Jäger- und Sammler:innen Gesellschaften auf den Grund. Mit ihren Erkenntnissen aus der Kalahari Wüste sowie aus 300.000 Jahren Menschheitsgeschichte stellt sie unser Weltbild auf den Kopf. „Ich schätze solche Formate wie dieses von A1 sehr“, sagt Ludwig, „vor allem wenn danach, in vielen direkten Gesprächen, ein Deep Dive in die Materie möglich wird. Das ist toll. Und das zeigt auch, dass wir Menschen den Austausch einfach brauchen.“ Vor allem, wenn es um das Thema Zukunft geht.
Was ist Zukunft?
Wobei: „Das Wort Zukunft ist viel zu oft ein Marketingschmäh. Zukunft ist nie greifbar, auch wenn es in einer komplexen Welt wichtig ist, darüber zu sprechen“, sagt Ludwig. Sie stellt lieber ein anderes Thema in den Vordergrund: Das Loslassen von festen Plänen. „Ich setze auf das Vertrauen in die Prozesshaftigkeit. Strukturvorgebende Pläne halten uns eher vom Community-Denken ab. Dann können keine Dinge entstehen, die eher am Wegesrand liegen.“ Doch kann man Pläne so einfach bleiben lassen? „Wir sprechen von Manageable Complexity sowie Unmanageable Simplicity“, sagt Ludwig, „ich sehe das an einem eigenen Projekt sehr gut: Ich habe das Zukunfts.Symposium entwickelt, das bewusst nicht stark geplant war. Wir steckten am Anfang Werte fest und wollten die Menschen mehr Community und Optimismus spüren lassen. Dann zeigte sich bald: Alles verändert sich, verwandelt sich. Aus einem gemeinsamen Abend ist heuer eine 2-Tages-Veranstaltung mit KünstlerInnen wie Ina Regen geworden. Es ist schwierig, von einem Konzept abzurücken. Aber aus diesem Loslassen kann viel mehr wachsen.“ (Zukunfts.Symposium Eferding: Internationale Vortragende setzen Impulse für nachhaltiges Unternehmertum)
Lehren aus der Wüste
Bettina Ludwig nimmt in ihren Keynote Speeches gerne Anleihen aus ihren Erfahrungen aus der Kalahari Wüste. Dort leben Gesellschaften, die als Jäger und Sammler strukturiert sind und nach anderen Regeln, als wir sie kennen, funktionieren. „Jäger und Sammler kennen kein Konzept von Besitztum. Allen gehört alles, niemandem gehört etwas. Es gibt kein Konzept von Hierarchie“, illustriert Ludwig. Auch sprachlich gebe es Unterschiede: Die ferne Vergangenheit sowie die ferne Zukunft können bei den Ju/´Hoansi-San Jäger- und Sammler:innen grammatikalisch nicht ausgedrückt werden. „Namibia hat zu Österreich nur eine Stunde Zeitverschiebung und ist doch ein ganz anderes Lebensumfeld. Man sieht daran aber auch, dass Menschen zu mehr im Stande sind, als wir auf dem Schirm haben. Wir machen als Menschen ganz viele unterschiedliche Dinge, aber wir wissen wenig davon, was andere Menschen tun. Wir sind zu viel mehr imstande, als wir glauben. Daher plädiere ich dafür, den Begriff Zukunft auf Chancen und Potenzial zu fokussieren, nicht auf fatalistische Endzeit-Aussagen, sondern auf einen optimistischen Ausblick.“ Für Ludwig geht es darum zuzulassen, unsere eigenen Perspektiven zu erweitern: „Zukunft ist wichtig, aber wir tun auch heute schon ganz viel. Jäger und Sammler leben so, wie sie leben. Da geht auch für uns noch mehr. Jäger und Sammler vertrauen auf ihr soziales Netz, auf ihre kleinen überschaubaren Gruppen, ihre Communitys. Man ist immer mit dieser einen Gruppe zusammen, geht gemeinsam durchs Leben, ist nie allein. Das macht etwas mit einem, aber es gibt auch viel Kraft. Die kann man nutzen, mit dem Blick auf sich, auf das, was man können möchte und schon kann. Auch wir müssen nicht allein durchs Leben gehen und können unser soziales Netz pflegen, das wir Menschen einfach brauchen.“
Entwicklungen, die allen etwas bringen
Doch wie steht es um die Lust am Neuen, an der Freude an Innovationen? „Das besondere an der Struktur von Jäger-/Sammler:innen-Gesellschaften ist, dass es keinen Wettkampf gibt und keinen reinen Entwicklungsgedanken. Veränderungen entstehen, wenn sich die umliegende Infrastruktur verändert. Als aufgrund der kleinen Eiszeit die Tiere ausstarben, entwickelte die Menschheit den Ackerbau.“ In diesem Sinne ist Fortschritt nötig und gut, wenn er der gesamten Community etwas bringt. „In der Kalahari Wüste gibt die Infrastruktur noch die Basis für ein Leben, wie es die Jäger und Sammler seit Jahrtausenden leben. Aber würde man die Jagdgebiete ständig vernichten, sowie beispielsweise im Amazonas-Gebiet, und einen höheren Ressourcendruck erzeugen, würden sie die Methoden der Nahrungsbeschaffung ändern. Diese Art der Fähigkeit zur Anpassung ist dem Menschen gegeben.“
Der Mensch ist anpassungsfähig
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Bettina Ludwig wünscht sich kein „back to the roots“, keine Entwicklung in Richtung Jäger- und Sammlerdasein bei uns. „Wir brauchen natürlich Systeme, die das Funktionieren und Zusammenleben von Millionen von Menschen regeln. Es macht keinen Sinn, ein System wie in der Kalahari zu kopieren und zu uns zu transportieren. Kultur und Anpassungsfähigkeit verändern und sozialisieren den Menschen. Worum es mir geht, ist aufzuzeigen: Der Mensch ist enorm anpassungsfähig. Und wenn wir heute sehr privilegiert in Österreich, in Europa leben, so heißt das nicht, dass es woanders auf unterschiedliche Weise nicht ebenfalls funktionieren kann – und in manchen Bereichen vielleicht sogar besser als bei uns.“
Unternehmen müssen Freiräume geben
Inwieweit können Unternehmen und Mitarbeiter von diesem Ansatz etwas mitnehmen? Bettina Ludwig sieht gerade in der Fähigkeit zur Anpassung gute Chancen für Betriebe. „Es braucht eine gute Organisation der Zusammenarbeit von Menschen im Unternehmen, aber es braucht auch Freiräume fürs Denken und Fühlen. Der Mensch verfügt über die intrinsische Motivation, etwas geben zu wollen – daraus entsteht unser soziales Netz. Wobei Geben viele Facetten hat: Das soziale Netz, die funktionierende Umgebung im Unternehmen, kann ein Gefühl von Zugehörigkeit schaffen. Unterstützung, die einem gegeben wird, fühlt sich gut an. Dann weiß man, man gehört dazu, man ist Teil der Gemeinschaft.“ Heute neigen, so Ludwig, Unternehmen dazu, den Fokus auf „Nehmen“ zu legen. Was erwartet ein/e Mitarbeiter:in vom Unternehmen, was fordert sie/er ein, um fürs Unternehmen zu arbeiten: auf den Erhalt von Homeoffice, von lockerer Arbeitszeit, von Freizeit. Wie könnten Betriebe hier anders denken? „Es heißt, dass sie Strukturen schaffen müssen, damit die Menschen etwas geben und etwas beitragen können. Das bedeutet, Freiräume zu schaffen, den Mitarbeiter:innen zu vertrauen, auch alte Strukturen loszulassen, damit Neues entstehen kann.“
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