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Warum wir uns von Fremden im Internet so gut verstanden fühlen

Sie begeistern mit ihren einfallsreichen, witzigen und oft auch sehr zynischen Wortmeldungen die sozialen Medien: Profile wie jenes des Deutschen El Hotzo erfreuen sich speziell seit der Pandemie sehr großer Beliebtheit. Doch was macht eigentlich den Erfolg solcher Profile aus und was haben parasoziale Beziehungen damit zu tun?

Am 12. Mai postet der Satiriker Sebastian Hotz eine Reihe von Sprüchen in einer Bilder-Galerie auf Instagram. Der erste davon lautet:  „oh nein ich habe meine Bowl durchgerührt jetzt ist es einfach ein Salat“. Insgesamt mehr als 139.000 Menschen liken den Post, obwohl es sich dabei nur um Screenshots von Tweets seines Accounts  @elhotzo handelt.

Im Gegensatz zu Influencer:innen teilt Hotz auch nicht allzu viel Privates mit seiner Followerschaft. Keine Rezepte, keine schweißtreibenden Workouts und auch keine privaten Geständnisse (außer vielleicht jene mit einer gehörigen Portion Ironie). In eine ganz ähnliche Kerbe schlägt auch der Account des Wiener Alltagspoeten: Seine rund 179.000 Follower:innen unterhält der Wiener Andreas Rainer mit witzigen Anekdoten aus der Bundeshauptstadt.

Doch auch hier gibt es im Grunde nichts anderes zu sehen außer Feedposts – Schwarze Schrift auf weißem Hintergrund sowie hin und wieder ein paar Instagram Stories. Was ist es also, dass den Erfolg solcher Profile ausmacht? Nun, es sind vor allem die pointierten Wortmeldungen, die es genau auf den Punkt bringen. Sei es das aktuelle Weltgeschehen, Politik oder unsere aktuelle Gesellschaft: Persönlichkeiten wie El Hotzo oder Aurel Mertz sprechen aus, was sich viele von uns denken.

Der Wiener Alltagspoet schildert mittels Zitaten Situationen, die einfach 99 Prozent aller Klischees über Wien und die Wiener:innen erfüllen. „Das ist einfach so typisch Wien“, mag sich der ein oder andere wahrscheinlich beim Scrollen durch den Feed denken. Hin und wieder nehmen die lustigen Zitate auch Bezug auf aktuelle Geschehnisse in Österreich und der Bundeshauptstadt. All das schafft ein Gefühl der Verbundenheit. Indem wir Profilen und den dahinterstehenden Personen folgen – etwa über Wochen, Monate oder sogar Jahre hinweg – bekommen wir das Gefühl, dass diese ein Teil unseres Lebens werden, wie gute Freund:innen. Einen wahren Hype erlebten Profile wie die oben genannten übrigens speziell in der Corona-Zeit, denn gerade in der Isolation war dieses Gefühl der Verbundenheit für viele ein Trost und unterhaltsame Profile ein willkommener Lückenfüller. Warum das so ist, liegt in der Psychologie begründet. Genauer gesagt in sogenannten parasozialen Beziehungen.

Die digitale Kommunikation fördert die Entstehung von parasozialen Beziehungen

Forscher:innen befassten sich bereits in den 1950er Jahren mit parasozialen Beziehungen, doch speziell heute ist das Thema dank der digitalen Kommunikation so aktuell wie nie. Parasoziale Beziehungen sind im Grunde genommen Beziehungen zwischen Konsument:innen und Prominenten bzw. fiktiven Charakteren. Das Besondere an dieser Form der Beziehung: Sie geschieht einseitig. Profile wie jenes von El Hotzo und Co. sind zu jeder Zeit an jedem Ort kommunikativ verfügbar. So werden sie für uns zu verlässlichen Persönlichkeiten, bei denen wir nach einiger Zeit das Gefühl haben, sie gut zu kennen. Die Personen hinter den Profilen haben umgekehrt aber keine Ahnung, dass die andere Person existiert. Das Phänomen tritt übrigens auch bei Influencer:innen auf. In der Zeit vor dem Internet traten solche parasozialen Beziehungen hauptsächlich bei „normalen Prominenten“ auf und die Bindung entstand hauptsächlich über Live-Auftritte wie Konzerte, Lesungen oder ähnliches. Parasoziale Beziehungen existieren neben anderen sozialen Beziehungen. Die soziale Nähe zu Freund:innen oder Kolleg:innen wird dabei über eine ähnliche Art und Weise aufgebaut: Durch regelmäßige Interaktionen über einen längeren Zeitraum mit einem hohen Maß an Identifikation. Da auf Social Media viele Menschen Eindrücke aus ihrem Leben teilen, wird es uns heute viel einfacher gemacht, sich einem Account bzw. der Person dahinter nah zu fühlen und sich mit ihr zu identifizieren.

Sind parasoziale Beziehungen etwas Schlechtes?

Doch wie überall im Leben, gibt es auch bei diesem Thema gute und schlechte Seiten. Per se sind parasoziale Beziehungen aber nichts Verwerfliches. Denn der Kontakt mit Internet-Persönlichkeiten löst bei uns teilweise ähnliche sozialpsychologische Effekte wie die unvermittelte Begegnung mit unseren (echten) Mitmenschen aus: So können wir beispielsweise auch gegenüber Personen, die wir nur aus dem Internet kennen, Empathie empfinden. Außerdem können durch parasoziale Beziehungen auch starke Fangemeinschaften auf den jeweiligen Profilen entstehen. Aufgrund ähnlicher Interessen oder Wertvorstellungen können innerhalb der Community dann Freundschaften bzw. Bekanntschaften untereinander geschlossen werden, und das sowohl online als auch im „echten“ Leben.

Dennoch sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass parasoziale Beziehungen keinen kompletten Ersatz für soziale Beziehungen bieten. Laut einer Studie neigen vor allem Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl dazu, parasoziale Beziehungen den echten Beziehungen vorzuziehen. Der Grund: Das Risiko, von einer Internet-Persönlichkeit, die einen ja gar nicht kennt, abgelehnt zu werden, ist gering bis gar nicht vorhanden. Was durchaus nachvollziehbar klingt, ist jedenfalls nicht unbedingt gut für unsere Psyche. Denn wer sich nur noch in einseitigen Beziehungen verliert, kann schnell in die soziale Isolation rutschen.

Internet-Persönlichkeiten navigieren uns durch unsichere Zeiten

Doch gehen wir nochmal der Frage nach, warum Profile wie jenes von El Hotzo oder anderen kritischen bis satirischen Geistern der Gegenwart aktuell so beliebt sind. Die deutsche Medienpsychologin Lea Frentzel-Beyme führt dies zum Teil auch auf die angespannte Nachrichtenlage zurück. Mit der Corona-Pandemie hinter uns und zahlreichen verunsichernden Nachrichten vor uns (z.B. Krieg in der Ukraine, Inflation, Klimawandel etc.), gibt es einiges zu verarbeiten – speziell für die junge Generation. Aber wie helfen da Profile wie jene von El Hotzo oder Aurel Mertz? Laut der Medienpsychologin ist es bereits hilfreich, „wenn diesen Informations-Overload jemand einordnet, zu dem ich ein Grundvertrauen habe“. Und genau dieses hat man, wenn man jemandem schon länger folgt, in der Regel bereits aufgebaut.

Ein weiterer nicht unwesentlicher Aspekt ist die eigene Positionierung bei den wichtigen Themen, die die Menschheit bewegt. Durch Likes und Reposts kann man in aktuellen Debatten einen Standpunkt einnehmen, ohne selbst viel sagen zu müssen. Und der enorme Erfolg solcher Profile bestätigt, dass Menschen diese Verbalisierung und das Runterbrechen von mitunter komplexen politischen Themen auf Alltagsvergleiche guttun – auch wenn das den Stars dieses neuen Genres vielleicht gar nicht bewusst ist, aber womöglich ist es genau diese Leichtigkeit, des schnell Gesagten, aber tief gefühlten, die das Gemeinschaftsgefühl erzeugt und uns Nähe spüren lässt wo sonst keine ist.
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